Dr. med. Cornelia Goesmann

Fachärztin für Allgemeinmedizin

Männer und Frauen sind anders krank. Veränderungen in den Krankheitsbildern von Männern und Frauen sind nur über eine umfangreiche Gesundheitsbildung und Anleitung zur Prävention schon ab dem frühen Kindesalter erreichbar. Das soll an zwei Fallbespielen dargestellt werden.

Erstes Fallbeispiel

Der erste Fall handelt von einem 55-jährigen Mann, von Beruf Kraftfahrer auf einem LKW, zusammenlebend mit seiner Frau. Zwei erwachsene Kinder, Ehefrau halbtags beschäftigt als Verkäuferin in einer Bäckerei. Der Patient befindet sich unregelmäßig in ärztlicher Behandlung, er hat einen hohen Blutdruck, 15 kg Übergewicht, raucht 20 Zigaretten täglich, hat hohe Blutfette, nimmt die ihm verordneten Medikamente nicht regelmäßig und bewegt sich sehr wenig, weil er, wenn er von seinen langen Fahrten mit dem LKW zurückkommt, dazu zu erschöpft ist.

Dieser Mann wacht morgens um 3.00 Uhr plötzlich aus dem Schlaf auf, verspürt einen immer stärker werdenden erschreckenden Schmerz in der Brust direkt unter dem Brustbein, der bis in den linken Arm und in die Fingerspitzen hinein ausstrahlt. Der Mann fängt an zu schwitzen, bekommt schlecht Luft, Angstzustände, ja fast Todesangst, weil der Schmerz schließlich so stark wird, dass er denkt, seine Brust platzt ihm auf und seine letzte Stunde habe geschlagen. Er weckt seine Frau, ruft: "Ich glaube, ich habe einen Herzanfall", die Ehefrau läuft zum Telefon, benachrichtigt "112", meint wegen eines Herzinfarktes müsse sofort der Rettungswagen kommen, legt ihrem Mann kalte Kompressen auf, hält seine Hand, beruhigt ihn, reicht etwas kaltes zu Trinken und zieht ihm einen frischen Schlafanzug an, fängt schon einmal an, seine Sachen zu packen. Nach 10 Minuten trifft der Notarztwagen ein, die Sanitäter schreiben ein EKG, der Notarzt legt eine Infusion und spritzt schmerzlindernde und beruhigende Medikamente. Im EKG sieht man, dass der Mann tatsächlich einen Herzinfarkt hat. Daraufhin beginnt der Notarzt mit einer Blutverdünnung und bringt im Notarztwagen den Patienten, so schnell es geht auf die nächste Intensivstation. Hier wird er sofort weiterbehandelt, stabilisiert, und, sobald es ihm besser geht, ein Herzkatheter angefertigt. Hier finden sich zwei völlig verschlossene Adern in seinem Herzen, sog. Verschlüsse der Herzkranzgefäße, die dazu geführt haben, dass das Gewebe des Herzmuskels hinter den Verschlüssen bereits droht abzusterben. Mit einem sog. Ballonkatheter, den man aufblasen kann, werden die verengten Stellen sofort geöffnet und anschließend Metallröhrchen an diese Stelle gesteckt, so dass die Durchblutung dort wieder gewährleistet ist. Offensichtlich erholt sich der Herzmuskel hinter den verengten Stellen ganz gut, denn sofort geht es dem betroffenen Patienten besser.

Mit den notwendigen Medikamenten stabilisiert er sich sehr schnell, kann nach einer Woche nach Hause, fühlt sich dort so wohl, dass er zum Hausarzt gehen kann und sich unbegrenzt weiter krankschreiben lässt. Nach weiteren zwei Tagen fährt er zu einer sog. Reha-Maßnahme, d.h. zu einer Kur, wo man ihn 4 Wochen lang dann mit Training, medikamentöser Behandlung, Schwimmen, Diät und Nichtrauchtraining so fit bekommt, dass er nach 4 Wochen um 9 kg abgespeckt und fitter als vor seiner Erkrankung wieder nach Hause fahren darf. Dort wird er von seinem Hausarzt weiter krankgeschrieben, weil er ja doch einen ausgedehnten Herzinfarkt hatte. Er stellt nach einigen Wochen einen Rentenantrag, der nach einem halben Jahr bewilligt wird, erhält dann eine gute Rente, bleibt zuhause. Wenn dieser Patient sich weiterhin so gesund verhält, wie er es in der Kurmaßnahme gelernt hat, dann kann er durchaus sein statistisch normales Sterbealter von etwa Anfang 70 Jahren in guter Gesundheit erreichen.

Zweites Fallbeispiel

Bei der zweiten Patientin handelt es sich um eine 55-jährige Frau, verheiratet mit einem gleichaltrigen berufstätigen Mann, zwei Kinder, die aus dem Haus sind. Diese Frau hat seit fünf Jahren die Wechseljahre hinter sich, bietet an Vorerkrankungen bei Normalgewicht einen stressbedingt leicht erhöhten Blutdruck. Sie arbeitet stundenweise bei zwei Putzstellen schwarz, kümmert sich um das Enkelkind ihrer ältesten Tochter, versorgt als Pflegeperson ihre beiden alten Schwiegereltern, die noch zuhause leben und von ihr den Haushalt, Arztgänge und leichte pflegerische Maßnahmen erhalten. Dafür bekommt die Patientin das Pflegegeld für beide von der Pflegekasse. Darüber hinaus kümmert sie sich um das kleine Haus und den Garten, was sich die Eheleute dadurch, dass die Frau schwarz arbeitet und Pflegegeld für die Schwiegereltern bekommt, leisten können.

Diese Patientin wacht nachts um 3.00 Uhr auf, weil ihr hundeelend ist, sie hat Bauchschmerzen im gesamten Oberbauch, die etwas in die Brust ausstrahlen, ihr ist übel, sie geht zur Toilette und muss sich zweimal erbrechen. Sie hat starke Schweißausbrüche, Schüttelfrost, ihr wird heiß und kalt und sie fühlt sich einfach insgesamt richtig krank. Sie nimmt zunächst ein Mittel gegen Magenbeschwerden und legt sich wieder hin, als dies nichts hilft, nimmt sie noch eine von ihren Tabletten gegen hohen Blutdruck, weil dieser leicht erhöht ist. Daraufhin wird ihr nicht besser, sondern ihr Herz fängt auch noch an, Herzrhythmusstörungen zu produzieren, der Blutdruck sackt ab und ihr wird immer elender. Schließlich, nachdem etwa eine Stunde vergangen ist, weckt sie ihren Mann. Als er endlich wach ist, gibt er ihr noch ein anderes Magenmittel und tippt auf eine Lebensmittelvergiftung. Schließlich wird ihm das Gejammer etwas zu viel und er ruft einen Krankenwagen. Nach etwa 20 Minuten treffen die Sanitäter ein, erkennen, dass es der Frau wirklich schlecht geht und rufen noch einen Notarztwagen dazu. Als dieser endlich eintrifft, ist die Patientin fast nicht mehr bei Bewusstsein. Ihr Blutdruck ist stark abgesackt, sie hat nun auch Schmerzen in der Brust, der Notarzt schreibt ein EKG, legt eine Infusion und erkennt, dass sie auch an einem Herzinfarkt erkrankt ist. Er spritzt die entsprechenden Medikamente, aber in sehr niedriger Dosierung, weil die Patientin sowieso schon kaum noch einen Blutdruck aufweist. Sie wird, so schnell es geht, ebenfalls auf die nächste Intensivstation gefahren, allerdings trifft sie dort etwa 1 ½ Stunden später ein, als der vorher beschriebene Mann, nachdem der Herzinfarkt stattgefunden hat. Vor Ort versucht man dann, die Patientin zu stabilisieren und ihren Kreislauf wieder in Gang zu bringen, ihr Herz zu stärken. Da man nicht weiß, ob sie nicht doch ein großes Magengeschwür haben könnte, denn sie hatte ja zunächst Oberbauchbeschwerden, bekommt sie keine Blutverdünnung.

Es dauert zwei Tage, bis die Patientin einigermaßen stabil ist, erst dann erhält sie eine Magenspiegelung und anschließend einen Herzkatheter. Dort findet man ebenfalls zwei völlig verschlossene Herzkranzgefäße, diese werden wie bei dem oben beschriebenen Mann eröffnet und mit Metallplättchen, sog. Stents, versehen. Inzwischen ist ihr Herzmuskel aber so geschädigt, weil zwei Tage vergangen sind seit ihrem Herzinfarkt, dass sich das dahintergelegene Gewebe nicht mehr erholt. Ihr Herzmuskel ist also sehr geschwächt. Die Frau braucht etwa zwei Wochen, bis sie sich soweit erholt hat, dass man an eine Entlassung nach Hause denken kann. Sie verweigert eine Reha-Maßnahme, d.h. eine Kur, weil sie meint, zuhause unabkömmlich zu sein. Sie muss sich ja um Mann, Haushalt, Enkelkind und Schwiegereltern kümmern. Zuhause dauert es noch mal ein halbes Jahr, bis es ihr etwas besser geht, auch wenn Kardiologe und Hausarzt ihr alle nötigen Medikamente und Hilfen zukommen lassen. Die Patientin kann nicht mehr putzen gehen, erhält natürlich kein Krankengeld, da sie ja schwarz gearbeitet hat. Auch ein Rentenantrag kann natürlich nicht gestellt werden. Da inzwischen die Pflege der Schwiegereltern von der Diakoniestation übernommen worden ist, erhält das Ehepaar auch kein Pflegegeld mehr. D.h. nach der Erkrankung der Ehefrau haben sie schlagartig weniger Geld zur Verfügung, und sie kann sich auch weniger gut um Haushalt und Familie kümmern, d.h. eigentlich bräuchten sie noch eine Zugehfrau. Insgesamt haben sich nach dem Herzinfarkt also sowohl der Gesundheitszustand, als auch die soziale Lage und die Sorgen der Familie erheblich verschlechtert. Obwohl auch diese Patientin alle notwendigen medizinischen Hilfen erhält, die nach einem akuten Herzinfarkt möglich sind, kümmert sie die nächsten Jahre vor sich hin und stirbt relativ früh mit 60 Jahren, nachdem auch ihre beiden Schwiegereltern gestorben sind, und weit bevor sie selbst ihr mögliches statistisches Sterbealter von inzwischen rund 80 Jahren bei Frauen erreicht hat.

Anhand dieser beiden Fallbeispiele, wie ich sie selbst viele Male im Krankenhaus so und ähnlich erlebt habe, können Sie unschwer erkennen, dass dieselbe Erkrankung, nämlich ein Verschluss von zwei Arterien im Herzmuskel aufgrund verschiedener Risikofaktoren (hoher Blutdruck, erhöhte Blutfette, Stress) bei einem Mann und bei einer Frau gänzlich anders verlaufen können. D.h., gleiche körperliche Vorgänge können aufgrund von genetischen, hormonellen, psychischen und sozialen Faktoren im Leben von Männern und Frauen gänzlich unterschiedlich verlaufen und die Prognose einer Erkrankung sowie Diagnostik und Therapie sehr unterschiedlich je nach Geschlecht beeinflussen.

Was bedeuten "frauenspezifische Gesundheitsstörungen"?

Solche Art Erkenntnisse sind in der Medizin weltweit relativ neu. Die sog. frauenspezifische oder heute besser "geschlechtsspezifische Gesundheitsforschung" hat sich erst in den letzten etwa 15 Jahren etabliert. Sie findet langsam Eingang in medizinische Forschung, Lehre, Diagnostik und Behandlung.

In den letzten Jahren wurde im Rahmen verschiedenster Forschungsvorhaben festgestellt, dass das Herzinfarktrisiko für Männer und Frauen insgesamt, d.h. in der Gesamtbevölkerung zwischen 1985 und 1995 gesunken ist, dabei aber bei den Frauen drastisch zugenommen hat. Mehr als die Hälfte der betroffenen Frauen stirbt am ersten Herzinfarkt, und was tatsächlich in der Bevölkerung nicht bekannt ist, ist, dass nicht etwa der Brustkrebs sondern tatsächlich Herz-Kreislauf-Erkrankungen die häufigste Todesursache bei Frauen sind. 52 Prozent der Frauen sterben an Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systemes, aber nur 48 Prozent der Männer.

In einer amerikanischen Studie wird festgestellt, dass während des stationären Verlaufes nach einem Herzinfarkt 6,6 Prozent der Frauen, aber nur 4,3 Prozent der Männer starben. In Deutschland erleiden derzeit 120.000 Frauen einen Herzinfarkt. Langfristig gesehen kann man sagen, dass 44% der Männer einen Herzinfarkt überleben, aber nur 38 Prozent der Frauen.

Nun fragt man sich natürlich nach den Ursachen. Anhand der beiden Beispiele sind mehrere erkennen. Eine davon, noch weitgehend unerforscht, ist, dass Frauen bis in die Wechseljahre hinein von den vom Körper produzierten Geschlechtshormonen, d.h. von den Östrogenen, vor Arterienverkalkung und damit vor Herzinfarkt geschützt sind. Vor diesem Zeitpunkt, als vor dem Ausbleiben der regelmäßigen Regelblutungen, sind Frauen gegen einen Herzinfarkt weitgehend geschützt, danach steigt die Rate an Herz-Kreislauf-Erkrankungen allerdings bei Frauen stark an.

Hinzu kommt, dass inzwischen immer mehr Frauen rauchen, dies offensichtlich schlechter vertragen als Männer, und dadurch die Herzinfarktrate bei Frauen deutlich gestiegen ist. Auch kann man in unserer Bevölkerung eine Tendenz zu immer mehr Übergewichtigen erkennen.

Alles dies wären gesundheitliche Gründe, d.h. genetisch und körperlich bedingte Faktoren, die das Herzinfarktrisiko von Frauen in den letzten Jahren erhöht haben.

Wie an den Beispielen zu sehen ist, sind es aber vielmehr psychosoziale Gründe, die bei Frauen zu einer höheren Sterblichkeitsrate an Herzinfarkt als bei Männern führen. Das Dramatischste war ja, dass bei Frauen die typischen Symptome eines Herzinfarktes ganz anders ausfallen als bei Männern: Der Patient schilderte die allen bekannten heftigsten Schmerzen in der Brust unter dem Brustbein, die einem Vernichtungsschmerz gleich kommen und als Alarmsignal gelten.

Bei Frauen äußert sich ein Herzinfarkt in der Regel in Oberbauchschmerzen, die auch in die Brust ausstrahlen können, in allgemeinem Krankheitsgefühl und weniger dramatischen Symptomen als bei Männern.

Deswegen wird die Symptomatik bei Frauen oft nicht ernst genommen, Frauen neigen dazu, auch erst einmal zu bagatellisieren, die Sorgen um die Familie in den Vordergrund zu stellen, möchten nicht ins Krankenhaus eingewiesen werden, weil sie ihre familiären Verpflichtungen wahrnehmen wollen und kommen - und das ist das Entscheidende - in der Regel eine Stunde später in die Klinik als ein Mann mit einem vergleichbaren Herzinfarkt. Wie Sie an unserem Beispiel gesehen haben, verschlechtert dies, nämlich die verzögerte Erstversorgung, die Überlebenschancen nach dem Herzinfarkt ganz erheblich.

Wegen der unterschiedlichen Symptomatik wird bei Frauen auch nicht primär an einen Herzinfarkt gedacht. So zeigte eine amerikanische Studie, dass eine Herzkatheteruntersuchung in den ersten 48 Stunden nach Infarkt bei 49 Prozent der Männer, aber nur bei 37% der Frauen, und eine Eröffnung der verschlossenen Adern nur bei 20 Prozent der Frauen, aber bei 32% der Männer vorgenommen wurde. Auch dies führt natürlich zu einer schlechteren Langzeitprognose.

Ganz entscheidend ist darüber hinaus, dass Frauen in sehr viel geringerem Maße nach der Krankenhausbehandlung eine sog. Rehabilitation, d.h. eine Kur zur Verbesserung des Allgemeinzustandes antreten wollen. Sie fühlen sich in der Regel, wie auch bei dem aufgeführten Beispiel, so eingeengt von ihren familiären Pflichten, dass sie meinen, nicht für längere Zeit wegfahren zu können. Auch dies senkt die Überlebenschancen.

Ein weiterer gravierender Aspekt bezüglich der psychosozialen Faktoren ist darüber hinaus, dass mit zunehmenden Lebensalter die meisten Männer noch von ihren Frauen versorgt werden, ein immer größer werdender Teil der Frauen aber allein lebt. Sie haben 1., wenn der Herzinfarkt eintritt, niemanden, der ihnen Hilfe holt und ihnen beisteht. Sie haben 2. nach der Erkrankung wiederum niemanden, der sie versorgt und pflegt, zumindest nicht in dem Maße wie eine Ehefrau es normalerweise für ihren kranken Ehemann tut.

Bei Frauen stellen Herz-Kreislauf-Erkrankungen das stärkste Gesundheitsrisiko im Leben dar. Gegenüber männlichen Patienten bestehen wesentliche Unterschiede in Diagnostik und im Krankheitsverlauf. Um unsere - kann man in diesem Fall ja sagen - Sterblichkeit zu senken, müssen diese Erkenntnisse in medizinische Forschung, Lehre, d.h. den Studentenunterricht der Medizinstudenten, und in die Köpfe der bereits arbeitenden Ärztinnen und Ärzte transportiert werden. Dies geschieht nun auch. Inzwischen ist die Medizin soweit, dass wir sagen, es geht nicht nur darum, frauenspezifische Gesundheitsforschung zu betreiben, sondern zu schauen, wo sind Männer und Frauen unterschiedlich und anders krank. Die geschlechtsspezifische Gesundheitsforschung hat in den letzten 15 Jahren einen deutlichen Aufschwung erlebt:

Dass die speziellen, geschlechtsbedingten Erkrankungen, die bei Frauen und Männern mit den Fortpflanzungsorganen, mit Schwangerschaft und Geburt zusammen hängen, intensiv erforscht und hervorragend behandelt werden, versteht sich von selbst. Aber bezüglich der männlichen Gesundheit haben sich folgende wichtigen Aspekte ergeben:

Jungens sind in den ersten Lebensjahren bis zur Pubertät deutlich anfälliger und deutlich häufiger erkrankt und beim Arzt als Mädchen. Die Natur trägt dem Rechnung, indem schon immer auf 100 Geburten von Mädchen etwa 107 Geburten von Jungen kommen. Offensichtlich will die Natur hier die höhere Sterblichkeit von kleinen Jungen langfristig ausgleichen.

Nach der Pubertät sind dann die Arztbesuche von jungen Mädchen und Frauen deutlich häufiger als die von Jungen und Männern, was sich ja schon zumindest in den ersten Jahren mit frauenspezifischen Erkrankungen der Geschlechtsorgane erklären lässt.

Was Männer angeht, so sind sie erheblich stärker bedroht als Frauen, Unfälle zu erleiden oder daran zu sterben. Männer sind erheblich selbstmordgefährdeter als Frauen. Männer rauchen deutlich mehr und haben dadurch auch mehr Erkrankungen der Atmungsorgane. Männer zeigen eine erhöhte Rate an Alkoholismus. Männer nehmen kaum Vorsorgeuntersuchungen in Anspruch, gehen insgesamt seltener zum Arzt, werden aber, wenn sie denn ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen wollen, mit mehr technischen Mitteln untersucht. Nach neueren Studien erhalten Männer, da man sie in der Regel für organisch krank hält, teurere Medikamente als Frauen.

Frauen gehen deutlich öfter zum Arzt als Männer, vor allem nehmen sie allerdings auch in etwa viermal so hoher Zahl an Krebsvorsorgeuntersuchungen teil. Frauen bekommen mehr Medikamente verschrieben als Männer, nach den neueren Studien allerdings die preiswerteren, und vor allem im hohen Maße Psychopharmaka. Frauen haben subjektiv ein schlechteres Befinden, leiden häufiger unter Schwindelanfällen, Kreislaufbeschwerden und Kopfschmerzen ohne organischen Befund. Der Anteil der Frauen an Erkrankungen mit Essstörungen beträgt 90 Prozent, ihr Anteil an den psychischen Erkrankungen 60 Prozent. Allerdings sind echte Psychosen, d.h. wahnhafte Störungen, bei Männern und Frauen gleich häufig. Depressionen werden allerdings bei Frauen dreimal so häufig diagnostiziert als bei Männern. In einer Untersuchung aus dem Jahre 1987 fanden sich psychosomatische Erkrankungen nur zu 18 Prozent bei Männern, aber zu 34 Prozent bei Frauen. Um noch einmal in den psychosozialen Bereich zu gehen, so zeigen neuere Untersuchungen, dass allein erziehende Mütter auffallend häufiger krank werden als Frauen, die in einer kompletten Familie leben. Sie sind darüber hinaus besonders anfällig für Burn-Out-Prozesse. Bei allein erziehenden Männern hingegen gibt es in puncto Gesundheit kaum Unterschiede zu verheirateten Männern. Dies wird damit erklärt, dass ein Mann, der allein erzieht, in der Gesellschaft einen völlig anderen Status als eine Frau in gleicher Lage hat. Wen wundert es da, dass Frauen häufiger und mehr Beruhigungs-, Schlaf- und Schmerzmittel sowie Antidepressiva verordnet bekommen?

Trotz dieser unterschiedlichen psychosozialen und organischen Lebensbedingungen, die Frauen offensichtlich vermehrt und anders krank sein lassen als Männer, werden Frauen heute durchschnittlich 81 Jahre alt und leben durchschnittlich 6 Jahre länger als Männer. Die Ursachen hierfür sind noch nicht ganz bekannt, aber zur Diskussion stehen folgende: Frauen haben eine bessere biologische Konstitution, eine bessere Immunabwehr, vor allem achten sie aber mehr auf sich und führen einen weniger riskanten Lebensstil.

Zusammenfassung

Sowohl medizinische Forschung und Lehre, d.h. Studentenunterricht, als auch die Behandlung müssen sich vermehrt den bisher vernachlässigten geschlechtsspezifischen Aspekten in der Krankheitsentstehung, ihren molekularen, hormonellen und psychosozialen Grundlagen widmen. In der Forschung geschieht dies zunehmend. So hat sich herausgestellt, dass bis in die neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts hinein fast die gesamte Forschung am Menschen, vor allem die Forschung im Bereich Arzneimittel, an jungen und gesunden Männern stattgefunden hat. Frauen wurden immer wieder von Forschungsarbeiten ausgeschlossen, weil die Gefahr der Schwangerschaft während der Studie besteht, weil sie andere hormonelle Einflüsse haben, d.h. ihr Zyklus könnte stören, und weil bis in unsere Zeit hinein meiner Meinung nach immer noch der Mann als Maß aller Dinge gilt und Forschung deswegen eben an männlichen Individuen stattfinden sollte und musste. Auch, weil eben gar nicht in den Köpfen der Forscher verankert war, dass Männer und Frauen sich erheblich in ihren Stoffwechselfunktionen und in ihren Bedürfnissen unterscheiden, dass Frauen z.B. erheblich geringere Mengen an Medikamenten benötigen und auf viele Medikamente anders reagieren als Männer. Alles dies wird inzwischen berücksichtigt, Studien finden inzwischen an den Patientengruppen statt, für die sie auch gedacht sind. Frauen werden in allen Studien entsprechend ihrem Anteil an der jeweilig untersuchten Klientel mit einbezogen. Aber, gerade noch einmal im Hinblick auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen gedacht: Es gibt immer noch keine ausreichenden Untersuchungsergebnisse über die Prognose von Frauen mit erhöhten Cholesterinwerten.

Bezüglich des Studentenunterrichtes finden sich inzwischen an so gut wie allen medizinischen Fakultäten spezielle Lehrstühle oder zumindest Vorlesungen und Seminare zum Thema "Krankheit und Gender", d.h. zu geschlechtsspezifischen Erkrankungen. Ebenso bemüht sich die Ärzteschaft, vor allem Bundesärztekammer und Landesärztekammern, die geschilderten Aspekte auch in die Fortbildung der schon tätigen Ärztinnen und Ärzte einfließen zu lassen und ihren Einfluss darauf auszuüben, dass dieses Wissen über geschlechtsspezifische Erkrankungsmuster auch der Bevölkerung vermittelt wird.

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