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Hannover,

„Die Patientenzahlen der Krankenhäuser gehen bereits seit einigen Jahren zurück“

Niedersachsen bereitet sich darauf vor, die Krankenhauslandschaft umzugestalten. In einem Interview mit dem „niedersächsischen ärzteblatt“ berichtet Dr. med. Andreas Philippi, Niedersächsischer Minister für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Gleichstellung, über die anstehende Umstrukturierung der stationären Versorgung.

Foto: MS / Ole Spata

Herr Minister Philippi, im Juli 2023 haben Sie sich für die Einigung von Bund und Ländern auf das Eckpunktepapier eingesetzt: Nun hat der Bund nicht die Krankenhausreform vorangetrieben, sondern Mitte Oktober das Krankenhaus-Transparenzgesetz verabschiedet. Wie bewerten Sie diesen Prozess?

Minister Dr. med. Andreas Philippi: Mit dem Transparenzgesetz in dieser Form tun wir uns keinen Gefallen. Ich halte es sogar für eine Mogelpackung, weil es dazu beiträgt, dass man nicht mit den Echtdaten arbeitet, sondern mit retrospektiven Daten. Außerdem wird nur eine vermeintliche Transparenz hergestellt, weil die Leistungsgruppen in dieser Form noch gar nicht vorliegen. Ein gutes Beispiel ist jemand, der sich informieren will, wo er sich an einem Prostataleiden operieren und behandeln lassen kann. Aktuell kann er die Qualitätsberichte ansehen und erfährt, wie viele Prostataoperationen konkret in der Urologie durchgeführt wurden. Mit dem Transparenzgesetz kann er nur die Leistungsgruppe Urologie aufrufen und dort möglicherweise sehen, wie viel Personal vorhanden ist und wie viele OPs generell gemacht werden. Aber er erfährt nicht, welche Form des Prostata-Karzinoms er dort behandeln lassen kann, wie die Profile der einzelnen Methoden sind und wie oft es statistisch gesehen zu Komplikationen kommt. Also das Transparenzgesetz ist an dieser Stelle kein wirklicher Fortschritt.

Sie besuchen aktuell die acht Versorgungsregionen, die in Niedersachsen im Zuge der Krankenhausreform neu entstehen, und suchen den Dialog vor Ort, um bei dem anstehenden Transformationsprozess alle mitzunehmen. Aber ohne dass der Bund das Gesetz verabschiedet, kann es nicht losgehen – oder?

Dr. med. Andreas Philippi: Da die Länder die Planungshoheit haben, müssen sie ebenfalls neue Krankenhausgesetze vorlegen. Wir in Niedersachsen haben das mit unserem Gesetz aus dem Juni 2022 eigentlich schon gut hinbekommen. Unser Problem ist, dass Bundesgesundheitsminister Professor Dr. med. Karl Lauterbach jetzt angefangen hat, das, was wir Versorgungslevel genannt haben, neu zu definieren. Das erzeugt ein Durcheinander, weil wir nicht mehr mit den von uns beschriebenen Stufen – den Grund- und Regelversorgern, den Regionalen Gesundheitszentren sowie den Maximal- und Schwerpunktversorgern – arbeiten können. Die Begrifflichkeiten müssen wir demnächst mit einer weiteren Verordnung noch einmal neu festlegen. Aber wir haben uns jetzt schon einmal auf den Weg gemacht. Auch wenn wir noch nicht endgültig sagen können, wie die Leistungsgruppen aussehen und wie sich die Versorgungsregionen aufstellen. Es geht darum, für die Veränderungen zu sensibilisieren, weil allen völlig klar ist, dass wir eine Reform brauchen.

Was für Veränderungen werden das sein?

Dr. med. Andreas Philippi: Allein aufgrund des Personalmangels brauchen wir eine Konzentrierung, weil es nichts nützt, wenn ich in einem Landkreis drei Krankenhäuser habe, die alle drei abends um 22 Uhr ihre Notaufnahme schließen. Insofern ist die Krankenhausreform ein dynamischer Prozess und einige Landkreise in Niedersachsen haben sich dem schon gestellt: Das Klinikum Region Hannover zum Beispiel mit seiner Medizinstrategie 2030, aber auch der Landkreis Diepholz, der ein neues Krankenhaus baut. Zudem haben wir sehr konkrete Planungen für neue Zentralkliniken in den Landkreisen Aurich und Heidekreis. Die Patientenzahlen gehen bereits seit vier, fünf Jahren zurück, aber darauf haben bisher hauptsächlich die privaten Krankenhäuser reagiert.

In Niedersachsen sind erste Krankenhäuser von einer Insolvenz betroffen, mindestens ein Drittel der Kliniken befindet sich in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage. Bisher hat sich der Bund geweigert, ein Vorschaltgesetz auf den Weg zu bringen. Mitte Oktober wurden allerdings mit dem Transparenzgesetz rund fünf Milliarden Euro für Betriebskosten und Tariferhöhungen bereitgestellt: Wird das Geld ausreichen?

Dr. med. Andreas Philippi: Also, da muss man sich ehrlich machen: Die jetzt im Transparenzgesetz versteckten fünf Milliarden Euro stehen den Krankenhäusern sowieso schon zu. Das ist kein neues Geld. Ich bin regelmäßig mit den Kliniken im Gespräch und weiß, dass manche noch auf ihr Pflegebudget von 2022 oder sogar 2021 warten. Es soll jetzt dafür gesorgt werden, dass diese Pflegebudgets schneller ausgezahlt werden. Das bedeutet zwar momentan mehr Liquidität, löst aber das Problem eigentlich nicht. Insofern brauchen wir nach wie vor das unter anderem von uns aus Niedersachsen geforderte Vorschaltgesetz. Wir brauchen zusätzliches Geld.

Als positive Beispiele für regionale Umstrukturierungen nannten Sie das neu entstehende Zentralklinikum in Ostfriesland, die Zusammenlegung der beiden Standorte des Heidekreis-Klinikums oder den Kreis Diepholz, wo ebenfalls drei Krankenhäuser in einem neuen Klinikum aufgehen werden: Sind dies die Prototypen für die Krankenhausreform?

Dr. med. Andreas Philippi: Es gibt in Niedersachsen schon erste Regionen und Häuser, die begonnen haben, ihr medizinisches Knowhow auf einen Standort zu konzentrieren. Dort sorgen sie für ausreichend Personal und eine gute Erreichbarkeit und können ihre Qualität dadurch steigern, denn es stehen zum Beispiel ausreichend Ärztinnen und Ärzte, aber auch Pflegepersonal zur Verfügung. Gleichzeitig müssen wir die Sektorengrenze zwischen stationärer und ambulanter Behandlung durchlässiger machen: Deshalb ist es jetzt auch so wichtig, dass wir in Zukunft gleiches Geld für gleiche Leistungen haben. Das heißt etwa ambulante Operationszentren – möglicherweise mit einer Anbindung an ein Krankenhaus, wo komplizierte Fälle gegebenenfalls stationär weiterbehandelt werden können. Aber das Entscheidende ist, dass wir das nicht am grünen Tisch von Hannover aus machen wollen. Die Idee unseres Krankenhausdialogs ist, in den Versorgungsregionen für die Situation zu sensibilisieren und den Akteuren nahezulegen, sich gut aufzustellen und möglicherweise schon Kooperationspartner für Leistungsgruppen zu suchen.

Auf Ihrer Agenda steht „mehr Qualität“ anstelle von Quantität. Wie soll das in der Praxis aussehen?

Dr. med. Andreas Philippi: Grundsätzlich ist es so, wenn in den Krankenhäusern eine Leistung erbracht wird, muss in allen Versorgungsstufen die Qualität gleich sein und das auch gewährleistet werden. Begriffe wie Level oder Versorgungsstufen beschreiben eigentlich nur die Größe der Häuser und nicht die Qualität der Behandlung. Ich weiß das aus eigener Erfahrung: Ich komme selbst im Grunde aus der Regelversorgung. Die Frage an dieser Stelle ist, wie eng das Netz geknüpft sein muss. Da wollen wir gemeinsam mit dem Bund Druck rausnehmen, auch durch die Vorhaltepauschalen. Das heißt 60 Prozent wird einschließlich des Pflegebudgets als Vorhaltepauschale bezahlt. Das ist ungefähr so wie bei der Feuerwehr, die 24/7 einsatzbereit ist. Künftig sind die Krankenhäuser nicht wie im alten System darauf angewiesen, immer mehr Fälle zu machen und immer mehr abzurechnen.

Sie sprechen auch von Ausnahmeregelungen, um weiße Flecken im Flächenland Niedersachsen zu verhindern?

Dr. med. Andreas Philippi: Wir müssen auf alle Fälle an bestimmten Stellen Ausnahmen zulassen. Deshalb setze ich mich als Minister eines Flächenlands vehement dafür ein, dass wir die Krankenhausplanung selber machen. Das ist auch nicht verhandelbar. Wir müssen genau abschätzen, an welchen Stellen wir nicht auf ein Krankenhaus verzichten können, selbst wenn es möglicherweise Schwierigkeiten mit den Anforderungen gibt. Um auch an solchen Orten die Gesundheitsversorgung aufrecht zu erhalten, kann ich mir Ausnahmegenehmigungen über Zeiträume von zehn bis zwölf Jahren vorstellen – bis sich die Strukturen entsprechend verändert haben. Wir brauchen überall die Grund- und Regelversorgung mit Chirurgie, Innerer Medizin, Frauenheilkunde und Geburtshilfe. Das haben wir auch mit dem Bund beim Eckpunktepapier genau verhandelt. Also in der Nordheide oder in verschiedenen Ortschaften im Harz gibt es sonst keine Möglichkeit, die Menschen zu versorgen.

Um die Versorgung zu verbessern, gibt es neuerdings die schon an mehreren Orten entstandenen „Regionalen Gesundheitszentren“?

Dr. med. Andreas Philippi: Es kann sinnvoll sein, wie in Ankum ein Krankenhaus in ein Regionales Gesundheitszentrum umzuwandeln oder auch Belegbetten vorzuhalten. Diese Betten müssen eventuell auch nicht 24/7 von Ärztinnen und Ärzten betreut werden, sondern das könnten auch gut ausgebildete Pflegekräfte übernehmen. Auf diesem Weg könnte man in ländlichen Regionen zusätzlich die Gesundheitsversorgung sicherstellen für Patientinnen und Patienten, die nicht zwangsläufig in einem Krankenhaus behandelt werden müssen.

Die Ärzteschaft interessiert im Zusammenhang mit der Krankenhausreform das Thema „Weiterbildung“: Muss sich bei einer Reduzierung der Krankenhausbetten nicht ebenfalls bei der Weiterbildung etwas ändern?

Dr. med. Andreas Philippi: Die ärztliche Weiterbildung ist ein wesentlicher Punkt, auf den ich auch in den Verhandlungen in Berlin immer hingewiesen habe. Dieser Aspekt wurde etwas vernachlässigt. Angesichts der Konzentrationsbestrebungen im stationären Sektor müssen wir natürlich überlegen, wie wir künftig die Fachärztinnen und -ärzte ausbilden. Ein gutes Beispiel sind Spezialoperationen an der Speiseröhre oder der Bauchspeicheldrüse. Da wird es in Zukunft weniger spezialisierte Zentren geben, die solche Leistungen in Niedersachsen erbringen werden. Da benötigen wie Ärztinnen und Ärzte, die das regelmäßig und gut machen, die aber natürlich auch dafür ausgebildet werden müssen. In Göttingen haben wir an der Universitätsklinik Anfang Oktober das Center for Digital Surgery eröffnet: Das ist ein Ausbildungszentrum, das mit Technologien wie Virtual und Augmented Reality schult. Das führt – ähnlich wie ein Flugsimulator für Pilotinnen und Piloten – zu mehr Sicherheit und höherer Qualität bei chirurgischen Eingriffen. Darüber hinaus hat sich die Weiterbildung bisher an den Fachabteilungen orientiert und es konnte jeweils ein Antrag für mehrere Jahre gestellt werden. Das wird bei den Leistungsgruppen in Zukunft so nicht mehr funktionieren. Da müssen wir wirklich überlegen, wie wir diese Ausbildung gestalten und die Plätze dafür verteilen. Das ist ein echtes Problem, für das wir eine gute Lösung finden müssen – auch gemeinsam mit den verschiedenen Fachverbänden.

Sie haben im Sommer von der Landesregierung den Zuschlag für drei Milliarden Euro erhalten, mit denen Sie Investitionen in niedersächsischen Krankenhäusern fördern werden: Wo fangen Sie an, wenn die Reformpläne für Niedersachsen noch gar nicht feststehen?

Dr. med. Andreas Philippi: Für diese Summe von drei Milliarden habe ich mich in den Haushaltsverhandlungen eingesetzt, denn es wurde zu Recht bemängelt, das Land habe in den vergangenen Jahren zu wenig in Gebäude und Infrastruktur der Krankenhäuser investiert. Von diesen drei Milliarden Euro, die in den kommenden zehn Jahren zur Verfügung stehen, könnten die ersten zwei Milliarden Euro jetzt verplant werden. Das geschieht nach klaren Regeln über den Krankenhausplanungsausschuss. So wird zum Beispiel geprüft, ob die Bauten nachhaltig geplant werden, aber auch, ob die Größe passt. Jetzt im September wurde entschieden, jeweils einen Neubau in Großburgwedel und in Peine zu fördern. Insgesamt ist das ein sehr geregelter Prozess, in dem wir das Geld für die einzelnen Bauabschnitte freigeben und so gute Möglichkeiten haben, die Bauvorhaben mitzugestalten. Dies sind offene, demokratische Prozesse und wir beraten – wenn gewünscht – auch bei der Umwandlung von Krankenhäusern in Regionale Gesundheitszentren.

Sie haben in den Regionen jetzt schon die nächste Gesprächsrunde für das kommende Frühjahr angekündigt: Wie geht es jetzt weiter mit der Reform?

Dr. med. Andreas Philippi: Wir haben den Prozess zu unserer niedersächsischen Reform bereits im Juni mit unserer ersten Veranstaltung eingeleitet. Jetzt gehen wir in die Versorgungsregionen, um dort über den aktuellen Stand zu informieren. Wir hängen da zwar ein bisschen in der Luft, weil Berlin nicht so richtig weiterkommt. Aber wir kennen die grobe Ausrichtung und die Leitgedanken. Viel wird sich erst entscheiden, wenn das Gesetz vorliegt. Aber für uns ist wichtig, dass sich alle, die im Boot sitzen, jetzt schon Gedanken machen, wie es für sie weitergehen kann. Denn es herrscht Einigkeit darüber, dass etwas passieren muss, weil das System sonst kollabiert. Deshalb werden wir im Frühjahr 2024 in einer zweiten Runde konkreter in den Dialog gehen. Dann haben sich die Player in den einzelnen Regionen erste Gedanken dazu gemacht, möglicherweise Gespräche mit benachbarten Krankenhäusern geführt und mit anderen Trägern über Kooperationen nachgedacht. Wir wollen, dass sich die Menschen vor Ort überlegen, wie eine funktionierende Gesundheitsversorgung für sie aussehen könnte. Vor allem wollen wir das nicht als autoritären Prozess von oben bestimmen, sondern die Menschen mitnehmen.

Das Interview führte Inge Wünnenberg.

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