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Hannover,

Jüdische Ärztinnen und Ärzte im Nationalsozialismus – Ärztekammer eröffnet Ausstellung im Neubau

Die Ärztekammer Niedersachsen zeigte in ihrem neuen Gebäude eine Ausstellung, die an die Verfolgung der jüdischen Ärztinnen und Ärzte in der Zeit des Nationalsozialismus erinnert und damit ein Zeichen gegen Rechtsextremismus und Fremdenhass setzt. Eröffnet wurde die Ausstellung durch den 98-jährigen jüdischen Arzt und Auschwitz-Überlebenden Dr. med. Leon Weintraub.

Dr. med. Martina Wenker, ÄKN-Präsidentin, Dr. med. Leon Weintraub, Dr. med. Andreas Philippi, Niedersächsischer Minister für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Gleichstellung, Steffen Krach, Präsident der Region Hannover, und Dr. med. Marion Charlotte Renneberg, Stellvertretende ÄKN-Präsidentin, (v.l.) stehen in der Ausstellung "Fegt alle hinweg..." im neuen Gebäude der ÄKN. Foto: Christian Wyrwa

Unter dem Titel „Fegt alle hinweg…“ erinnern Tafeln mit Fotografien und Dokumenten exemplarisch an die Schicksale von jüdischen Ärztinnen und Ärzten, denen 1938 per Gesetz die Approbation entzogen wurde: Sie verloren ihre Existenzgrundlage, wurden verfolgt, vertrieben und zu einem großen Teil auch ermordet. „Das Geschehene in Vergessenheit geraten zu lassen, wäre gleichbedeutend damit, die Millionen Opfer erneut zu töten“, betonte Dr. med. Leon Weintraub bei der feierlichen Eröffnung am heutigen Mittwoch im Neubau der Ärztekammer Niedersachsen (ÄKN). Er ist selbst ein Opfer der Verbrechen des Nationalsozialismus und war in verschiedenen Konzentrationslagern – unter anderem Auschwitz – interniert. Der heute 98-Jährige, der nach dem Krieg in Göttingen Medizin studiert hat, setzt sich bis heute als einer der letzten noch lebenden Zeitzeugen gegen das Vergessen ein. 

Der niedersächsische Minister für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Gleichstellung, Dr. med. Andreas Philippi, stellte anlässlich der Eröffnung heraus, welche Bedeutung die Aufarbeitung der in der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland begangenen Verbrechen hat: „Als Arzt hat es mich immer persönlich betroffen gemacht, zu wissen, welche Verbrechen unseren jüdischen Kolleginnen und Kollegen angetan worden sind. Es ist daher ausgesprochen wertvoll, dass Ausstellungen wie diese daran erinnern – nur so können wir Lehren aus diesen schlimmen Fehlern ziehen. Und dies ist gerade in der aktuellen Zeit eine zentrale Herausforderung, um unsere demokratische und vielfältige Gesellschaft zu bewahren“, so Philippi. 

Auch der Präsident der Region Hannover, Steffen Krach, bekräftigte in seinem Grußwort zur Ausstellungseröffnung, wie wichtig das Eintreten für demokratische Werte und gegen Ausgrenzung und Fremdenfeindlichkeit sei: „Für den Pluralismus und die Vielfältigkeit unserer Gesellschaft einzustehen und eine deutliche Absage an Rassismus, Fremdenfeindlichkeit oder sonst welcher Ausgrenzung von Menschen zu erteilen, ist immer eine wichtige Aufgabe – aber sie ist heute wichtiger denn je.“  

Mit der Eröffnung der Ausstellung als erster öffentlicher Veranstaltung im Neubau in der Berliner Allee setzt die ÄKN bewusst ein Zeichen gegen Fremdenfeindlichkeit und für eine pluralistische und demokratische Gesellschaft. „Viele Ärztinnen und Ärzte haben in der Zeit des Nationalsozialismus nicht zu den ethischen Werten unseres Berufs gestanden. Heute stehen wir umso mehr für die Werte des Genfer Gelöbnisses ein: Wir behandeln jeden Patienten und jede Patientin, egal welcher Herkunft, Religion, Weltanschauung oder anderen Persönlichkeitsmerkmalen – und dabei sind auch wir selbst als Ärzteschaft in jeder denkbaren Form divers und pluralistisch“, unterstrich ÄKN-Präsidentin Dr. med. Martina Wenker.

Bildmaterial
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Hintergrund-Informationen
Konzipiert wurde die jetzt um niedersächsische Ärztinnen und Ärzte erweiterte Ausstellung „Fegt alle hinweg…“ ursprünglich zum 70. Jahrestag des 1938 erfolgten Approbationsentzugs für die jüdischen Ärztinnen und Ärzte. Die Schau geht zurück auf eine Initiative des Münchner Ehepaars Ursula und Dr. med. Hansjörg Ebell, das ebenfalls bei der Eröffnung zu Gast sein wird. Der Titel der Ausstellung hat seinen Ursprung im Aufruf des Nationalsozialisten und späteren Reichsärzteführers Dr. med. Gerhard Wagner aus dem Jahr 1933: „Fegt alle hinweg, die die Zeichen der Zeit nicht verstehen wollen!“

Für die Ausstellung in der Ärztekammer Niedersachsen wurden die beispielhaften Schicksale um folgende aus Niedersachsen stammenden bzw. hier tätigen jüdischen Ärzte erweitert:

  • Dr. med. Fritz Frensdorff
    Dr. med. Fritz Frensdorff wurde 1889 in Hannover geboren und studierte Medizin in Freiburg, München und Berlin. Im ersten Weltkrieg diente er u.a. als Bataillonsarzt und wurde mit dem Eisernen Kreuz 1. und 2. Klasse ausgezeichnet. Nach dem Krieg war er an Kinderkliniken in Göttingen und Berlin tätig, bevor er 1923 nach Hannover zurückkehrte und in der Kurze Str. 4 eine Praxis für Kinderkrankheiten führte. 1934 verlegte er die Praxis in die Lange Laube 12. Dort wohnte er auch mit seiner Ehefrau und beiden Söhnen. Nachdem er mehrfach von nationalsozialistischen Schlägern schwer misshandelt worden war, nahm er sich am 12. Februar 1938 in Berlin das Leben. Seine Frau floh 1939 mit beiden Söhnen nach Palästina.
  • Sir Hans Adolf Krebs
    Hans Adolf Krebs stammt aus Hildesheim und diente im ersten Weltkrieg. Nach dem Krieg studierte er Medizin und war anschließend in Krankenhäusern und Instituten in Berlin, Hamburg und Freiburg tätig. 1932 entdeckte er gemeinsam mit Kurt Henseleit den Harnstoffzyklus. Im Mai 1933 wurde ihm die Lehrbefugnis entzogen. Krebs, der sowohl religionsfern erzogen worden war als auch gelebt hatte, kommentierte dies mit den Worten: „Hitler hat mich zum Juden gemacht.“ Er wanderte daraufhin nach Großbritannien aus und forschte vor allem in Sheffield und Oxford. 1953 wurde er für die Entdeckung des Citratzyklus mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Später wurde Krebs von Queen Elisabeth II. zum Ritter ernannt und erhielt Ehrendoktorwürden von 21 Universitäten.
  • Dr. med. Nathan Albert Ransohoff
    Der Nervenarzt und Psychiater Dr. med. Nathan Albert Ransohoff war bis 1919 Ärztlicher Direktor der elsässischen Anstalt Stephansfeld-Hördt. Nach dem ersten Weltkrieg wurde er 1919 aus dem Elsass ausgewiesen und kam auf Umwegen 1921 gemeinsam mit seiner nicht-jüdischen Frau Hilma nach Lüneburg und eröffnete 1923 eine Praxis für Nervenheilkunde. Er engagierte sich vielfältig und war ein angesehener Bürger der Stadt. Mit der Machtübernahme der NSDAP wurde er aufgrund seines jüdischen Glaubens entrechtet und aus antisemitischen Gründen verfolgt. In der Pogromnacht vom 9. November 1938 verwüsteten die Nationalsozialisten seine Wohn- und Praxisräume. Ransohoff wurde verhaftet und in das Konzentrationslager Sachsenhausen verschleppt. Nach der Haftentlassung war er gezwungen, sein Haus zu verkaufen und zog mit seiner Frau nach Hamburg. Die letzten Kriegsjahre überlebte das Ehepaar Ransohoff in einem dänischen Altersheim bei Lauenburg. Während langwieriger Verhandlungen über die Rückerstattung seines Vermögens starb Nathan Albert Ransohoff 1951 in Hamburg.

Die Ausstellung war vom 15. April bis zum 10. Mai der Öffentlichkeit zugänglich.

 

Über die Ärztekammer Niedersachsen
Die Ärztekammer Niedersachsen ist die standesrechtliche Vertretung der mehr als 45.000 Ärztinnen und Ärzte im Flächenland Niedersachsen. Sie nimmt in Selbstverwaltung öffentliche Aufgaben im Gesundheitswesen wahr und erfüllt zugleich weisungsgebunden staatliche Aufgaben. Außerdem setzt sie sich für eine qualitativ hochwertige ärztliche Fort- und Weiterbildung ein und betreut die Ausbildung der Medizinischen Fachangestellten.

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Kontakt

Referat Gesundheitspolitik und Kommunikation
Niko Gerdau
Pressesprecher
Telefon: 0511 3802-2104
E-Mail: kommunikation(at)aekn.de

 

 

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