Politisch drängende Inhalte und eine intensive Debatte prägten die Kammerversammlung am 26. September.
Politisch drängende Inhalte und eine intensive Debatte prägten die Kammerversammlung am 26. September. Präsidentin Dr. Martina Wenker sprach gleich zwei brisante Themen an, als sie die politische Debatte anmoderierte: Den umstrittenen Entwurf für ein neues Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) sowie die Erhöhung der Zahl der Medizinstudienplätze in Niedersachsen als dringend notwendige Maßnahme gegen den sich weiter verschärfenden Ärztemangel.

Foto: A. Pagel
Gegen das geplante Terminservice- und Versorgungsgesetz formulierte die Kammerversammlung eine Resolution mit einer markanten Gegenposition: "Der Entwurf des neuen Terminservice- und Versorgungsgesetzes ist eine Missachtung der Arbeitsleistung und des Engagements der Kolleginnen und Kollegen in der ambulanten ärztlichen Versorgung", mahnten die 60 Delegierten einstimmig.
"Eine gesetzlich vorgegebene Mindestsprechstundenzeit ist ein immenser Eingriff in die Selbstverwaltung des freien Arztberufs und beschädigt das Vertrauen zwischen Arzt und Patient", betonte Kammerpräsidentin Dr. med. Martina Wenker. Eine Verbesserung der Patientenversorgung sei mit diesem Instrument auch nicht zu erwarten. Hier die Resolution im Wortlaut:
Der Entwurf des neuen Terminservice- und Versorgungsgesetzes (TSVG) löst keine Probleme, sondern schafft nur neue
"Die Delegierten der Kammerversammlung der Ärztekammer Niedersachsen sprechen sich entschieden gegen die Einführung einer gesetzlich vorgeschriebenen wöchentlichen Mindestsprechstundenzeit von 25 Stunden aus. Eine gesetzlich vorgegebene Mindestsprechstundenzeit wird nicht dazu führen, die Patientenversorgung zu verbessern, sondern ist ein immenser Eingriff in die Selbstverwaltung des freien Arztberufs und beschädigt das Vertrauen zwischen Arzt und Patient.
Auch das Vorhalten von mindestens fünf Stunden in der Woche für Patientinnen und Patienten ohne Termin ist kein sinnvolles Instrument zur Patientenversorgung. Bereits jetzt bekommen akut kranke Patientinnen und Patienten umgehend einen Arzttermin und werden keinesfalls an der Praxistür abgewiesen. Auch im Sinne eines effektiven Praxismanagements bringen freie Sprechstundenzeiten für die Patientinnen und Patienten keinen Mehrwert. Vielmehr müssen übervolle Wartezimmer und lange Wartezeiten einkalkuliert werden.
Die Kammerversammlung der Ärztekammer Niedersachsen appelliert an die Koalitionsfraktionen im Deutschen Bundestag, die Ursache für die aktuelle Situation in der ambulanten medizinischen Versorgung an der Wurzel zu packen – nämlich den Mangel an Ärztinnen und Ärzten. Die Lösung liegt in der Schaffung von neuen Studienplätzen, im Vorhalten attraktiver Arbeitsbedingungen in der ambulanten Medizin und einer an der medizinischen Notwendigkeit ausgerichteten Patientenversorgung.
Den Entwurf des neuen Terminservice- und Versorgungsgesetzes empfinden die in der Kammerversammlung vertretenen Ärztinnen und Ärzte - unabhängig von ihrer Fachgruppenzugehörigkeit – als Missachtung der Arbeitsleistung und des Engagements der Kolleginnen und Kollegen in der ambulanten Versorgung."
Ebenso einstimmig haben sich die 60 Delegierten in einer weiteren Resolution dafür ausgesprochen, dass die drei Medizinischen Fakultäten mit finanzieller Unterstützung der Landesregierung in Niedersachsen umgehend 200 weitere Medizinstudienplätze schaffen. "Nur durch eine deutliche Erhöhung der verfügbaren Medizinstudienplätze wird es möglich sein, dem Ärztemangel nachhaltig zu begegnen", bekräftigte die Präsidentin und erinnerte an die bereits im Koalitionsvertrag verankerte Ankündigung der Landesregierung, in der laufenden Legislaturperiode bis zu 200 zusätzliche Medizinstudienplätze zu schaffen. Des Weiteren müsse es Anreize für die Absolventen geben, sich auch im ländlichen Raum Niedersachsens niederzulassen. Auch diese Resolution hier im Wortlaut:
Ärztemangel an der Wurzel packen - 200 weitere Medizinstudienplätze jetzt sofort!
"Die Delegierten der Kammerversammlung der Ärztekammer Niedersachsen fordern die Landesregierung und die Medizinischen Fakultäten in Niedersachsen dazu auf, unverzüglich weitere Medizinstudienplätze zu schaffen. Nur so kann dem sich stetig verschärfendem Ärztemangel in Niedersachsen nachhaltig entgegengewirkt werden. Zusätzlich zu den geplanten Studienplätzen am Campus Braunschweig der UMG müssen die drei Medizinischen Fakultäten mit finanzieller Unterstützung der Landesregierung in Niedersachsen umgehend 200 weitere Medizinstudienplätze schaffen, damit die zahlreichen qualifizierten Bewerberinnen und Bewerber auch die Chance bekommen, ihr Medizinstudium zu absolvieren. Des Weiteren muss es Anreize für die Absolventinnen und Absolventen geben, sich auch im ländlichen Raum Niedersachsens niederzulassen. Hier spielt die Familienfreundlichkeit eine große Rolle.
Die derzeitige Ausbildungspolitik führt dazu, dass Ärzte aus dem Ausland nach Deutschland kommen, um eine Mangelsituation auszugleichen, während gleichzeitig deutsche Abiturienten ins Ausland gehen müssen, damit sie die Chance auf einen Medizinstudienplatz bekommen. Diese absurde Bildungspolitik gilt es jetzt rasch zu korrigieren!"
Ferner untermauerte die Kammerversammlung den Inhalt dieser Resolution mit einigen statistischen Angaben: Niedersachsen hat in den vergangenen Jahren jeweils weniger als 600 Ärztinnen und Ärzte ausgebildet - sogar mit fallender Tendenz: So registrierte die Universitätsmedizin Göttingen (UMG) für das Jahr 2016 genau 247 Absolventen im Fach Humanmedizin, vier Jahre zuvor (2012) waren es noch 300. Der Alumni Verein (e.V.) der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) meldete für das Jahr 2016 exakt 272 Examenskandidaten – 298 waren es noch im Jahr 2012.
Auf der anderen Seite des Berufslebens steigt allerdings die Anzahl der Ärzte, die der Versorgung aus Altersgründen nicht mehr zur Verfügung stehen, in den nächsten Jahren kontinuierlich an. Die Mitgliederstatistik der Ärztekammer Niedersachsen zeigt auf, dass in den kommenden zwei Jahrzehnten bis zu 1.000 Ärztinnen und Ärzte jährlich in den Ruhestand wechseln werden. Denn es sind die mitgliederstärksten Jahrgänge der Babyboomer-Generation, die in naher Zukunft die Regelaltersgrenze erreichen.
Bereits heute gibt der Ärztemangel Anlass zu großer Sorge: Die für die Versorgungssicherung zuständige Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen (KVN) meldet 408,5 unbesetzte Arztsitze (Stand: 12. September 2018), davon allein 365 unbesetzte Hausarzt-Sitze und 43,5 unbesetzte Facharzt-Sitze. Auch in den niedersächsischen Krankenhäusern können sehr viele Arztstellen nicht rechtzeitig nachbesetzt werden.
Ausschließliche Fernbehandlung in Niedersachsen ab 1. Dezember 2018 zulässig
Eine weitere spannende Debatte entwickelte sich um die Änderung der Berufsordnung der Ärztekammer Niedersachsen, die - gemäß der entsprechenden Beschlüsse auf dem 121. Deutschen Ärztetag in Erfurt - eine ausschließliche Fernbehandlung von Patienten ermöglichen soll. Nach intensivem Austausch der Argumente votierten schließlich 40 Delegierte für die Annahme der bundesweiten Vorgabe in Niedersachsen und somit für die Zulässigkeit der Fernbehandlung, sieben stimmten dagegen. Der neue Paragraph 7 Abs. 4 der Berufsordnung wird wie folgt neu gefasst:
"Ärzte beraten und behandeln Patienten im persönlichen Kontakt. Sie können dabei Kommunikationsmedien unterstützend einsetzen. Eine ausschließliche Beratung oder Behandlung über Kommunikationsmedien ist im Einzelfall erlaubt, wenn dies ärztlich vertretbar ist und die erforderliche ärztliche Sorgfalt insbesondere durch die Art und Weise der Befunderhebung, Beratung, Behandlung sowie Dokumentation gewahrt wird und der Patient auch über die Besonderheiten der ausschließlichen Beratung und Behandlung über Kommunikationsmedien aufgeklärt wird."
Die Neufassung tritt zum 1. Dezember 2018 in Kraft.
Autor:
Jörg Blume