Bericht zur Lage

Hannover,

Mehrarbeit und Überlastung schaffen Fehlerquellen

Die Kammerversammlung der Ärztekammer Niedersachsen kritisiert den ausufernden Bürokratieaufwand im Gesundheitswesen, fordert Energiekostenzuschüsse für Praxen und Kliniken sowie die Verstärkung von Klimaschutzmaßnahmen durch die Ärztekammer Niedersachsen.

Foto: Christian Burkert

„Seit 38 Jahren bin ich Ärztin, aber solche Zustände habe ich noch nicht erlebt“, sagte Dr. med. Marion Charlotte Renneberg, Vizepräsidentin der Ärztekammer Niedersachsen (ÄKN), als sie am 24. September 2022 die Sitzung der Kammerversammlung leitete. Auch die Delegierten des niedersächsischen Ärzteparlaments kritisierten unter anderem den hohen Zeitaufwand für Datenerfassung und Dokumentation, der einer aktuellen Erhebung der Ärzteorganisation Marburger Bund zufolge bei rund drei Stunden am Tag liegt. „Allein während der Coronapandemie in den vergangenen zweieinhalb Jahren ist der bürokratische Aufwand noch einmal extrem gestiegen“, sagte Renneberg und bemängelte: „Das ist Zeit, die uns bei den Patientinnen und Patienten fehlt.“

Die Kammerversammlung verabschiedete folgende Resolution sowie Forderungen, die wir Ihnen anschließend im Wortlaut zur Kenntnis geben: Unter der Überschrift „Stoppt den Kontrollwahn – beendet den Bürokratie-Irrsinn!“ kritisiert das Ärzteparlament den Dokumentationsaufwand. Außerdem forderten die Delegierten „Energiekostenzuschüsse für Praxen und Kliniken“ und sie beauftragten den Ärztekammervorstand, Klimaschutzmaßnahmen der Ärztekammer Niedersachsen vorzubereiten.

 

Resolutionen und Forderungen der ÄKN-Kammerversammlung

Resolution: Stoppt den Kontrollwahn – beendet den Bürokratie-Irrsinn!

Bereits in den 70er Jahren starteten Ärztinnen und Ärzte eine Qualitätsoffensive. Erste Verfahren der Qualitätssicherung wurden mit hoher intrinsischer Motivation der Ärzteschaft aufgebaut und weiterentwickelt. Dies mündete in internen Qualitätsmanagementansätzen, die immer das Ziel hatten, Patientinnen und Patienten auf dem höchst möglichen Qualitätsniveau zu versorgen und dabei Patientensicherheit zu gewährleisten.

Leider ist aus einer selbstorganisierten und motivierten Qualitätsentwicklung in den 2000er Jahren immer mehr ein Kontrollinstrument geworden. Zunehmend nehmen die Krankenkassen und der Medizinische Dienst (MD) direkten Einfluss auf die Versorgung, vor allem im Krankenhaus. Die Indikatoren der Externen Qualitätssicherung, das sehr umstrittene Instrument der planungsrelevanten Qualitätsindikatoren, und eine Vielzahl weiterer Qualitätsrichtlinien beschäftigen seit Jahren ganze Mitarbeiterstäbe. Mit dem neuen Instrument der Qualitätsprüfungen vor Ort wurde der Bürokratieaufwand für alle Ärztinnen und Ärzte sowie die Pflegekräfte noch weiter erhöht. Jedes Jahr werden in deutschen Krankenhäusern 2,5 Millionen Datensätze mit zum Teil mehr als 50 Angaben allein für die Qualitätssicherung dokumentiert (SVR, 2018). „Ärzte dokumentieren pro Tag durchschnittlich vier Stunden beziehungsweise 44 Prozent ihrer Arbeitszeit“ (HIMSS Studie, 2015). Eine aktuelle Umfrage des Marburger Bundes kommt zu dem Ergebnis, dass der Zeitaufwand für Datenerfassung und Dokumentation im Mittel bei drei Stunden pro Tag liegt (MB Monitor, 2022).

Die Folge sind personelle Engpässe und Überforderung der im Krankenhaus Tätigen. Das alles geht zu Lasten der Patientenversorgung! Wegen Personalmangels müssen Stationen geschlossen werden und Patientinnen und Patienten werden abbestellt. In der Folge verlassen Ärztinnen, Ärzte und Pflegekräfte die Krankenhäuser und damit oft die direkte Patientenversorgung.

Bereits 2015 ergab laut „Gutachten des Sachverständigenrats (SVR) 2018“ die Auswertung von rund 2,5 Millionen Datensätzen der 1.544 teilnehmenden Krankenhäuser zu 24 QSVerfahren nur 0,6 Prozent rechnerisch auffällige Ergebnisse. Die Ressourcen für Dokumentation und Qualitätssicherung sind begrenzt und müssen sinnvoller eingesetzt werden. Eine Aufwand-Nutzen-Abwägung muss zwingend vor jeder einzuführenden Maßnahme erfolgen und darf in keinem Fall zu einer zusätzlichen bürokratischen Belastung der Ärztinnen und Ärzte führen. Ziel muss es sein, den Dokumentationsaufwand zu reduzieren und Qualitätssicherungs- und Kontrollmaßnahmen in allen Bereichen des Gesundheitswesens abzuschaffen, wenn diese keinen medizinischen patientenorientierten Nutzen erzeugen.

In der Realität vollzieht sich aber gerade das Gegenteil eines Bürokratieabbaus. Im letzten Jahr wurden Strukturprüfungen durch den MD eingeführt, die zunächst das Ziel haben sollten, den Aufwand der Abrechnungsüberprüfungen durch den MD zu reduzieren. In einer Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Medizincontrolling e.V. (DGfM, 2022) wird ausgesagt, der MD sei mit der „Richtlinie zur regelmäßigen Begutachtung zur Einhaltung von Strukturmerkmalen von OPS-Kodes nach § 275d SGB V (StrOPS-RL)“ weit über das Ziel hinaus geschossen, habe ein Verfahren auf den Weg gebracht, das massiv in die Arbeits- und Dokumentationsweisen der Krankenhäuser eingreife und für immense Mehrarbeit in den Krankenhäusern sorge (DGfM, 2022). Von einer Verschlankung der Abrechnungsprüfung kann also nicht die Rede sein.

Damit nicht genug, neuerdings gibt es seitens der Techniker Krankenkasse, des MD Bund und des Patientenbeauftragten Bund Bestrebungen, ein zentrales Behandlungsfehlerregister aufzubauen. Ziel ist es, sogenannte „Never Events“ anonym und verpflichtend von allen Krankenhäusern in ein zentrales Register zu melden. Der Nutzen einer zentralen Registrierung dieser zu vermeidenden Fehler muss hinterfragt werden. Bereits jetzt werden in den Krankenhäusern verpflichtend Fehlermeldesysteme (CIRS) geführt, in denen Behandlungsfehler dokumentiert und analysiert werden, um die eigenen Versorgungsprozesse und damit die Patientensicherheit ständig zu verbessern. Freiwillig können besonders interessante oder schwerwiegende Konstellationen in ein länderübergreifendes CIRS (CIRSmedical.de) bei der Bundesärztekammer eingebracht werden. Ein neues Dokumentationssystem verhindert keine Fehler, sondern schafft durch Mehrarbeit neue Fehlerquellen durch eine weitere Überlastung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Krankenhaus.

Es ist an der Zeit, von einer Misstrauenskultur wieder zu einer Vertrauen schaffenden gemeinsamen Arbeitsweise zurückzufinden, bei der Patientensicherheit selbstredend oberste Priorität genießt!
 

Energiekostenzuschüsse für Praxen und Kliniken

Auch in unseren Praxen und Kliniken explodieren Strom- und Energiekosten. Deshalb müssen wir bei der Politik Energiekostenzuschüsse für unsere ärztlichen Einrichtungen einfordern.
 

Klimaschutz

Die Kammerversammlung fordert den Vorstand auf, Klimaschutzmaßnahmen der Ärztekammer Niedersachsen“ vorzubereiten und diese der Kammerversammlung zur Zustimmung vorzulegen. Die Ärztekammer veröffentlicht zudem eine „Erklärung zum Klimaschutz“ und unterstreicht damit ihren Vorbildcharakter im Gesundheitswesen.

Solche Klimaschutzmaßnahmen sollten insbesondere folgende Aspekte enthalten:

  • Maßnahmen zum ressourcenschonenden Umgang im Rahmen von Vorgängen der hoheitlichen Aufgaben ebenso wie in der Verwaltung und Selbstverwaltung.
  • Vorschläge zur Sicherstellung einer Energieversorgung der Ärztekammer mit weitgehend/vorzugsweise erneuerbaren Energien.
  • Kompensationsmaßnahmen für unvermeidbare CO2 Emissionen sollten vorgenommen werden

Begründung:

Ärztekammern genießen im Gesundheitswesen ein hohes Ansehen. Ihr Verhalten kann eine wichtige Vorbildfunktion für andere Akteure im Gesundheitswesen entfalten.

Eine transparente Darlegung von Maßnahmen zum Klimaschutz, nachhaltigen Wirtschaften und zur Generationengerechtigkeit stärkt neben den direkten positiven Effekten für Natur und Umwelt das positive Bild der Ärztekammern innerhalb und außerhalb der Ärzteschaft.

Die Klimaschutzmaßnahmen erfüllen die Bedingungen des Beschlusses II -18 des 125. Deutschen Ärztetages „Konkrete Beiträge des Gesundheitswesens zum Klimaschutz“.


Kontakt:Thomas Spieker, Leiter Kommunikation und Pressesprecher der Ärztekammer Niedersachsen,
Telefon:
0511 380 2020, E-Mail: kommunikation(at)aekn.de

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