
Seit dem 15. Januar 2025 legen die gesetzlichen Versicherungen elektronische Patientenakten (ePA) für alle Versicherten an. Wer dies für sich persönlich nicht wünscht muss aktiv widersprechen – so sieht es die sogenannte Opt-out-Regelung vor. Die Delegierten der Kammerversammlung der Ärztekammer Niedersachsen (ÄKN) fordern, diese Regelung bei Kindern und Jugendlichen in eine Opt-in-Regelung umzukehren. Versicherte unter 18 Jahren sollen so erst durch Beschluss der Erziehungsberechtigten eine ePA erhalten. Hintergrund dieser Forderung sind vor allem mögliche lebenslange Nachteile – beispielsweise für den späteren Berufsweg. „Bei bestimmten Arbeitgebern oder Berufen wird die Krankenvorgeschichte umfangreich und unter Entbindung der ärztlichen Schweigepflicht überprüft. Bei Kindern und Jugendlichen sind viele Krankheitsbilder jedoch nur periodisch und wesentlich seltener chronisch wie im Fall von erwachsenen Patientinnen und Patienten“, erläutert Dr. med. Tilman Kaethner, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin sowie Mitglied der ÄKN-Kammerversammlung. „So ist die Gefahr gegeben, dass beispielsweise eine Laufbahn als Pilot oder Angehöriger der Bundeswehr im Erwachsenenalter aufgrund einer längst nicht mehr vorhandenen Diagnose aus Kindheitstagen unmöglich gemacht wird.“
Auch für den Abschluss von Versicherungsverträgen sehen die Delegierten das Risiko von lebenslangen Nachteilen. „Private Krankenversicherungen oder Haftpflichtversicherungen beispielsweise können durch die ePA Daten aus der Kindheit und dem Jugendalter erhalten, die dann auch Jahre später zu Ablehnungen führen können – obwohl die Krankheitsbilder längst nicht mehr vorhanden sind und mit gewisser Wahrscheinlichkeit auch nie wieder auftreten werden“, ergänzt Angela Schütze-Buchholz, Fachärztin für Kinderheilkunde und Jugendmedizin und ebenfalls Mitglied der Kammerversammlung.
„Grundsätzlich begrüßen und benötigen wir eine umfangreiche Digitalisierung im Gesundheitswesen. Doch diese muss auch angemessen mit abweichenden Rahmenbedingungen und gesonderten Situationen umgehen können. Dass das Bundesgesundheitsministerium die mögliche Problemstellung der Datenerfassung von Kindern und Jugendlichen unter 15 Jahren in der ePA erkannt hat und die verpflichtende Datenübermittlung aufheben wird, ist ein positives Zeichen im Hinblick auf eine adäquate Lösung. Aus unserer Sicht wäre dies insbesondere der Verzicht auf die Opt-out Regelung bei Kindern und Jugendlichen“, unterstreicht Dr. med. Marion Charlotte Renneberg, Fachärztin für Allgemeinmedizin und stellvertretende Präsidentin der ÄKN.
Vollständiger Resolutionstext
Die Kammerversammlung fordert Gesundheitsministerium und Bundestag auf, kurzfristig folgende Änderungen der rechtlichen Ausgestaltung und Vorgaben für die ePA für Jugendliche und Kinder zu beschließen:
- Die „Opt-out-Regelung“ zur ePA wird für Kinder und Jugendliche abgeschafft. Die Möglichkeit der freiwilligen Opt.in-Option durch gemeinsame Entscheidung aller Erziehungsberechtigen ggf. nach Beratung durch eine Ärztin oder Arzt bleibt bestehen.
- Die Krankenkassen werden gesetzlich verpflichtet, Jugendliche mit dem 15. Geburtstag auf die Möglichkeit der Löschung ihrer ePA nach Beratung durch eine Ärztin oder Arzt hinzuweisen.
- Die Krankenkassen werden gesetzlich verpflichtet, Jugendliche kurz vor Erreichen der Volljährigkeit auf die Möglichkeit der Löschung der Daten auf der ePA aus dem Kindes- und Jugendalter und die dann geltende Opt-out Möglichkeit hinzuweisen.
- Daten in der ePA, die vor dem 18. Geburtstag eingetragen wurden, dürfen durch gesetzliche Regelung nicht zur Beurteilung von Versicherungsleistungen, Einstellungskriterien oder weiteren, den Lebenslauf bestimmenden Beurteilungen verwendet werden, da es sich um eine patientengeführte Akte handelt.
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